Die Digitalisierung geht in vielen Organisationen nur langsam voran. Das liegt häufig nicht an der Technik, sondern an falscher oder fehlender Vorbereitung. Im Digitalfunk wollen wir Impulse geben für einen erfolgreichen Einstieg in Digitalisierung und Transformation, insofern lohnt sich vorab ein Blick auf die Frage, worum es bei der Digitalisierung im Kern geht und was genau die bisherige Entwicklung bremst.
Digitalisierung vs. Transformation
Im Jahr 2011 haben MIT und Capgemini die Ergebnisse einer mehrjährigen Studie veröffentlicht. Im Kern ging es um die Frage, worauf der Erfolg von Unternehmen wie Google, Apple oder Amazon zurückzuführen ist und wie traditionelle Unternehmen davon profitieren können. In der Einleitung der Studie beschreiben sie die Entwicklung wie folgt:
Die Digitale Transformation – der Einsatz von Technologie zur deutlichen Verbesserung der Unternehmensleistung oder Reichweite – wird für Unternehmen weltweit zu einem wichtigen Thema.
Unternehmen aller Branchen nutzen digitale Fortschritte wie Analytik, Mobilität, soziale Medien und intelligente eingebettete Geräte – und verbessern die Nutzung traditioneller Technologien wie ERP – um Kundenbeziehungen, Prozesse und Wertversprechen zu verbessern. [Übersetzung des Verfassers]
MIT Center for Digital Business and Capgemini Consulting, 2011
2011 ist nicht nur in digitaler Hinsicht lange her. Dennoch werden bislang in vielen Organisationen nicht einmal die in der Studie genannten Werkzeuge in nennenswertem Umfang genutzt, und selbst Themen wie Mobility oder Analytics werden stellenweise noch als Zukunftsmusik betrachtet. Dabei wäre es grade jetzt wichtig, ausgereifte Technologien zu etablieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Optimierungen ermöglichen, anstatt auf Technologien zu warten, deren Nutzen noch nicht klar erkennbar oder gar fraglich ist.
Die Granden des Silicon Valleys verliebten sich mehr und mehr in ihre Krypto- und Metaverse-Fantasien statt in die Lösung echter Probleme. Die wahre Tragik des Kryptowahnsinns ist…, dass die Technologie bis auf eine kleine Clique von Enthusiasten und Spekulanten niemandes Leben verändert.
Der Spiegel, 3/23
Für die zögerliche Umsetzung des „weltweit wichtigen Themas“ muss es insofern Gründe geben, denen wir in diesem Beitrag nachgehen wollen.
Bzgl. der Definition des MIT sind aus meiner Sicht allerdings Ergänzungen erforderlich. So bezeichnet Transformation in meinem Verständnis eine umfassende Umwälzung von Prozessen, Organisationen oder Geschäftsmodellen. Viele digitale Maßnahmen führen zwar zu deutlichen Optimierungen, sind aber nicht notwendigerweise eine Transformation. Insofern „reserviere“ ich den Begriff Transformation für wesentliche oder umfassende Veränderungen und nutze für die digitale Grundlagenarbeit den Begriff Digitalisierung, zumal es offenbar ja so ist, dass manche Organisation bereits mit grundlegenden digitalen Aufgabenstellungen hadert. Den Begriff der Disruption nutze ich fast nie, denn echte Disruptionen – die Umwälzung der Musikindustrie durch iPod und iTunes oder die Digitalfotografie – sind ausgesprochen selten, was sich offenbar noch nicht in allen Werbeabteilungen herumgesprochen hat.
Zudem halte ich es für wichtig, die Digitalisierung in Ihrer Ausdehnung zu beschreiben. Viele Unternehmen leiden nach wie vor darunter, dass lediglich digitale Insellösungen bestehen. Insofern erfordert erfolgreiche Digitalisierung einen umfassenden – die gesamte Organisation betreffenden – Ansatz. Digitalisierung ist darüber hinaus keine einmalige Aktion sondern eine dauerhafte Aufgabe, die auch dauerhaft – nachhaltig – Sinn machen muss.
Meine Definition der Digitalisierung ist daher diese:
Digitalisierung bezeichnet die umfassende Nutzung digitaler Methoden und Systeme zur nachhaltigen Verbesserung der Geschäftstätigkeit.
Im Digitalfunk konzentrieren wir uns dabei überwiegend auf die Frage, welche Vorbereitungen getroffen werden müssen, um in den Prozess der umfassenden Optimierung überhaupt eintreten zu können. Viele bezeichnen die Digitalisierung auch als digitale Reise, der Digitalfunk kann im Idealfall Impulse für die sinnvolle Reiseplanung geben.
Ein kurzer Blick zurück
Bei der Diskussion zum Stand der Dinge sollte man nicht vergessen, dass die eigentliche digitale Entwicklung natürlich deutlich vor 2011 begonnen hat.
1991 wird die erste Webseite online gestellt, damit beginnt die Phase der Vernetzung. Ab diesem Zeitpunkt ist es möglich, digitale Inhalte über das Internet ortsunabhängig zu verteilen und zu nutzen. Mit eBay und Amazon entwickeln sich um 1995 erste Plattformen mit großen Nutzerzahlen. Das Internet hat in Deutschland zu diesem Zeitpunkt etwa 4 Mio. Nutzer, heute nutzen 95% der Bürger über 14 Jahre das Internet gelegentlich, 80% täglich.
1997 geht Google online und macht als leistungsfähige Suchmaschine die im Internet bis dahin oft verborgenen Inhalte zugänglich. Im Grunde genommen stehen mit PC, Internet, Suchmaschine und Mobilfunk spätestens ab diesem Zeitpunkt die wesentlichen Zutaten der folgenden dynamischen digitalen Entwicklung bereit.
2007 geht mit Dropbox einer der ersten Cloud-Dienstleister an den Start, Apple stellt das iPhone vor und gibt damit der mobilen Internetnutzung einen deutlichen Schub, zumal jetzt auch mobile Datenübertragung leistungsfähig und erschwinglich wird. In Folge entwickeln sich in kurzer Zeit unzählige Plattformen, Portale, Online-Shops und Apps.
Was erst auf den zweiten Blick auffällt: die meisten Angebote richten sich in der ersten Phase an den Endkunden, fallen betriebswirtschaftlich in die Kategorie B2C. Natürlich können auch Unternehmen über eBay einkaufen, aber Amazon, Twitter, Netflix, Expedia oder Facebook sind zunächst auf Privatkunden fokussiert. Diese gewöhnen sich sich in kurzer Zeit an die schnelle, einfache und transparente Nutzung digitaler Angebote.
Diese Nutzer sind zum Großteil aber ihrerseits auch Mitarbeiter, Kunden oder Lieferanten. Insofern resultieren die veränderten Erwartungen von Kunden oder Mitarbeitern aus dem massiven Transfer der digitalen Erfahrungen und Erwartungen vom privaten ins berufliche Umfeld. Ich bezeichne die hier entstandenen Erwartungen als marktseitige Treiber, wobei es insbesondere um folgende Dimensionen geht, die erfolgreiche digitale Produkte oder Prozesse kennzeichnen:
- Einfachheit der Nutzung
- Effizienz
- Geschwindigkeit
- Transparenz
- Mobilität
- Servicequalität
- Kundenbezogenheit
Hand aufs Herz: Kein Privatmann benötigt zwingend ein Echtzeit-Tracking über den aktuellen Standort seines Paketboten. Er hat ihn aber, gewissermaßen als Abfallprodukt der ausgefeilten Logistik von DHL, Amazon & Co. Und der Privatmann hat sich daran gewöhnt, dass er diese Informationen erhält. Und damit nicht genug: wird der angekündigte Liefertermin doch mal überschritten, steigt schnell der Blutdruck. Nicht, weil man die fünfte Handyhülle etwa wirklich dringend braucht, sondern weil man sich daran gewöhnt hat, dass zugesagte Termine eingehalten werden. Im Gegensatz zu manchem Großhändler, der noch in Kalenderwochen rechnet und seine Auftragsbestätigung mit der Post verschickt.
In diesem Zusammenhang fällt gelegentlich der Begriff der digitalen Ungeduld. Dabei geht es im Kern darum, dass auf Grund der gemachten Erfahrungen zunehmend „sofort“ als einzig akzeptabler Zeitrahmen gilt. Nicht weil es wirklich nötig ist, sondern weil man weiß, dass es möglich wäre. Manche bezeichnen das auch als Sofortness.
Auch aus dieser Perspektive stellt sich die Frage, warum es in vielen Organisationen bislang nicht einmal möglich war, die skizzierte Entwicklung im Endkundenbereich zumindest zu adaptieren. Zeit war jedenfalls genug vorhanden.
Hindernisse der Umsetzung
Nicht nur gemessen am medialen Dauerfeuer zu Technologie und Digitalisierung bleibt der erzielte Stand der Umsetzung in vielen Unternehmen oder Behörden bislang weit hinter den Erwartungen zurück. Es dominieren Insellösungen und Technologiedebatten, die eigentlich angestrebten Optimierungen können bislang jedoch nicht erzielt werden.
Die zögerliche Entwicklung ist darauf zurückzuführen, das sich viele Organisationen bereits mit der Vorbereitung und dem Einstieg in die Digitalisierung schwertun. Die weiter unter dargestellten Ergebnisse der ZIA-Studien zum Stand der Digitalisierung der Immobilienwirtschaft zeigen, dass die wesentlichen Herausforderungen der Digitalisierung in ungeklärten Grundlagenthemen liegen, etwa mangelnder Datenqualität. Dabei geht es nur selten um technische Probleme. Aus meiner Erfahrung bremsen insbesondere folgende Faktoren die bisherige Entwicklung:
- Fehlende Ziele
- Unklare Ausgangslage
- Unterschätzte analoge Altlasten
- Unklare Handlungsoptionen
- Fehlender ganzheitlicher Ansatz
- Unzureichende interne Kommunikation
Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige.
Seneca
Digitalisierung ist kein Selbstzweck! Sie benötigt konkrete Ziele, die idealerweise die eigene Ausgangslage berücksichtigen und unternehmensweit gelten. Digitalisierung kommt auch nicht, sie muss geholt werden.
Kein Unternehmen stellt die Notwendigkeit einer digitalen Weiterentwicklung in Frage, aber nur wenige Unternehmen haben konkrete digitale Ziele formuliert und kommuniziert.
Wer keine Ziele definiert, fordert Insellösungen geradezu heraus, weil jeder Bereich auf Grund fehlender Orientierung die für ihn relevanten digitalen Maßnahmen ergreift, die – jede für sich betrachtet – durchaus Sinn machen können, ziemlich sicher aber nicht den Anspruch an die umfassende Verbesserung der Geschäftstätigkeit erfüllen.
Wer keine Ziele definiert, kann das häufig nicht, weil er sich mit der eigenen Ausgangslage nicht in der erforderlichen Tiefe auseinandergesetzt hat und bestehende Defizite insofern nicht kennt oder unterschätzt. Wenn es bei der Digitalisierung um die Optimierung der Geschäftstätigkeit geht, dann müssen mögliche oder erforderliche Optimierungen bekannt sein, um geeignete Maßnahmen ergreifen zu können.
Wo heute in operativen Kernprozessen noch in nennenswertem Umfang mit Papier oder Excel gearbeitet wird, stand Daten- und Prozessmanagement lange nicht im Fokus und werden die offensichtlich bestehenden analogen Altlasten häufig unterschätzt. Sich Gedanken über den digitalen Zwilling zu machen ist sinnlos, wenn es bislang nicht einmal gelingt, die Bestandsdaten von Gebäuden und Anlagen auf Stand zu halten. Schlechte Daten sind eben häufig nicht auf schlechte Systeme zurückzuführen, sondern auf unklaren Informationsbedarf und fehlende Pflegeprozesse.
Ein besonders guter Indikator für bestehenden Handlungsbedarf ist übrigens die Nutzung von Excel in operativen Kernprozessen. Wenn man gezielt die Prozesse aufs Korn nimmt, bei denen Excel im Spiel ist, treten wesentliche Defizite deutlich hervor. Dieser Zusammenhang ist so eindeutig, dass wir das Thema in einem separaten Beitrag im Detail aufgreifen.
Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess.
Thorsten Dirks
Wer sich mit den vorhandenen Prozessen nicht kritisch auseinandersetzt, der riskiert das von Thorsten Dirks skizzierte Ergebnis. Und das wäre doch schade, denn im Grunde sind es in erster Linie Prozesse, die digitalisiert werden können.
Wo keine Ziele definiert wurden und die Ausgangslage unklar ist, können auch bestehende Handlungsoptionen kaum richtig bewertet werden. Der Ruf nach neuen Systemen wird in digitalen Fragestellungen schnell laut, und vielfach wird es sogar erforderlich sein, bestehende Systeme zu erweitern oder zu ersetzen. Ohne die genannte Grundlagenarbeit wird deren erfolgreiche Nutzung aber kaum gelingen. Wie oft sind die angeschafften Tablets bald wieder im Schrank verschwunden, weil Schnittstellen und Datenbasis gefehlt haben um die mobilen Geräte überhaupt in die Bearbeitungsprozesse einzubeziehen. Und die Cloud ist auch nicht nur ein anderer Ablageort für Office-Dateien.
Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass digitale Maßnahen nicht ganzheitlich bewertet und gesteuert werden. Die zwischen einzelnen Maßnahmen bestehenden Abhängigkeiten oder Synergien werden nicht betrachtet, unkoordinierte Einzelmaßnahmen enden bereits nach der Pilotphase, da Budgets, Geduld oder Interesse verloren gehen.
Salopp formuliert: Ein wenig digitales Geschäftsmodell hier, ein bisschen ERP- Modernisierung dort, Logistikprozesse bleiben auf dem Stand des 20. Jahrhunderts, dafür gibt es Schulungen zum agilen Mindset…().
Horváth & Partners
Selbst wenn keine übergeordneten Ziele definiert werden können, sollten zumindest die veranlassten Einzelmaßnahmen auch insgesamt Sinn machen.
Nicht zuletzt spielt auch die interne Kommunikation eine wesentliche Rolle bei der Vorbereitung. Mitarbeitende haben häufig ein gutes Gefühl für die Nutzbarkeit der ihnen zur Verfügung stehenden digitalen Werkzeuge. Beschwerden der Anwender beziehen sich nach meiner Erfahrung häufig auf die Qualität der Werkzeuge, sind aber keine grundsätzliche Verweigerung digitalen Arbeitens. Wenn also fehlende Nutzerakzeptanz immer wieder als Hindernis der Digitalisierung genannt wird, sollte man einen genauen Blick darauf werfen, wie sich diese tatsächlich begründet. Bestehende Defizite werden selten offen benannt, die Roadmap der weiteren Entwicklung nicht aufgezeigt und anstehende Veränderungen auch nicht rechtzeitig kommuniziert, was zu einer deutliche Frustration der Mannschaft führen kann.
Mindestens genau so wichtig ist es, die Mannschaft bei der Planung digitaler Maßnahmen frühzeitig einzubinden. Man darf sich nicht über Gegenwind wundern, wenn die schöne neue Software durchfällt wird, weil sie wesentliche Teile der Bearbeitungsprozesse nicht abdeckt oder verkompliziert. Wie man gute Prozesse digital gut umsetzen kann, wissen Amazon-Kunden eben schon lange.
Arbeit ist die kurze Zeitspanne des Tages, während der alte Technologie genutzt wird
Peter Hinssen
Stand der Umsetzung
Meine Einschätzungen zum Stand der Dinge basiert auf eigenen Erfahrungen, sind aber natürlich nicht repräsentativ. Es lohnt insofern ein Blick in die Statistik, inwieweit sich dort Hinweise auf den Stand der Umsetzung und bestehende Hindernisse finden.
ZIA und EY Real Estate untersuchen beispielsweise seit 2016 jährlich den Stand der Digitalisierung in der Immobilienbranche. Neben verschiedenen Aspekten der Digitalisierung wird dabei auch gefragt, welche wesentlichen Herausforderungen bei der Umsetzung der Digitalisierung gesehen werden, welche Technologien sich abzeichnen und wann diese ihr Nutzungspotenzial voraussichtlich entfalten werden. Gefragt war in der Studie, welche wesentlichen Herausforderungen bei der Umsetzung der Digitalisierung gesehen werden. Für das Jahr 2022 ergibt sich folgendes Bild:
Große Anzahl an Datensilos
94%
Fehlende Personelle Ressourcen*
70%
Intransparente Datenstruktur / geringe Datenqualität
67%
Veraltete oder nicht integrierte Systeme
58%
Geringe Nutzerakzeptanz
51%
Fehlende Digitalstrategie
36%
Quelle: Digitalisierungsstudie von ZIA und EY Real Estate 2022 / * = Wert nur bis 2020 erhoben
Die Werte haben sich über die Jahre praktisch nicht verändert, die benannten Herausforderungen konnten demnach im Zeitablauf offenbar nicht nennenswert reduziert werden.
Insbesondere die genannten datenbezogenen Defizite behindern die Umsetzung sinnvoller digitaler Maßnahmen allerdings massiv, zumal praktisch jede digitale Aktivität höhere Anforderungen an die Datenqualität stellt. Dummerweise handelt es sich hier um Altlasten, die vor der Implementierung neuer Prozesse oder Systeme beseitigt werden müssen.
Die fehlende Digitalisierungsstrategie lag bis einschliesslich 2020 jeweils bei über 50%. Ich kenne praktisch kein Unternehmen mit einer konkret formulierten Digitalstrategie, was nicht verwundert, da auch nur wenige Unternehmen konkrete Ziele formuliert haben. Insofern halte ich es für wahrscheinlich, dass diese Herausforderung weiterhin mehr als nur ein Drittel der Unternehmen betrifft.
Gefragt war in der Studie auch, innerhalb welches Zeitraums (in Jahren) die sich derzeit abzeichnenden Technologien ihr volles Nutzungspotenzial voraussichtlich entfalten werden:
Technologie | 2017 | 2021 |
---|---|---|
Mobile Arbeitsgeräte | < 5 | < 5* |
Cloud Technologie | < 5 | 5 - 9 |
Virtual-/Augmented Reality (VR/AR) | 5 - 9 | > 10 |
Digitale Plattformen | < 5 | 5 - 9 |
Data Analytics / Big Data / Data Mining | 5 - 9 | < 5 |
Internet of Things (IoT) | 5 - 9 | 5 - 9 |
Blockchain | > 10 | 5 - 9 |
Smart Contracts | 5 - 9 | > 10 |
Quelle: Digitalisierungsstudie von ZIA und EY Real Estate 2017 und 2022 / * = Wert zuletzt 2020 erhoben
Natürlich ist nicht eindeutig zu definieren, wann genau das Potenzial einer Technologie voll entfaltet ist. Aber auch ohne Ergebnisse auf die Goldwaage zu legen, lässt sich doch feststellen, dass der prognostizierte Zeitraum über die Jahre weitgehend gleich geblieben ist, sich teilweise sogar verlängert hat. Dafür mag es in einigen Bereichen gute Gründe geben, etwa im Falle von VR/AR, wo im Hinblick auf Kosten und Nutzbarkeit weiterhin technologische Sprünge erforderlich sind.
Einige Ergebnisse hinterlassen mich allerdings ratlos, etwa die Einschätzungen zu mobilen Arbeitsgeräten oder dem Internet of Things (IoT). So gibt es unter technologischen Aspekten nichts, was in Bezug auf mobile Arbeitsgeräte fehlt oder noch erfunden werden müsste. In der Regel scheitert deren sinnvolle Nutzung daran, dass keine Schnittstellen existieren, um die Geräte sinnvoll einbinden zu können. Da senden sich die Mitarbeiter dann benötigte Unterlagen als Mailanhang aufs Tablet, weil die Daten im genutzten System entweder nicht gepflegt sind oder kein mobiler Zugriff möglich ist. Das ist aber keine Frage der Technologie sondern der Handhabung.
Gleiches gilt für das Internet of Things. Seit Jahren ist das Thema – insbesondere in Bezug auf Sensorik – in aller Munde, sei es als Grundlage einer Predictive Maintenance oder als wesentliches Werkzeug zur Bewältigung zunehmender ESG-Anforderungen. Erst waren die Sensoren zu teuer, dann die Datenübertragung zu schwierig. Mittlerweile sind Sensoren und Übertragungsverfahren leistungsfähig und bezahlbar, und dennoch finden sich kaum Einsatzbeispiele, weil jetzt Wege fehlen, aus den erhobenen Daten entsprechenden Kundennutzen zu generieren. Auch das ist kein technisches Thema sondern die unbeantwortete Frage, welche Daten benötigt werden und was damit getan werden soll.
Konsequenz: Stufenweises Vorgehen
Wie wir gesehen haben, scheitert der Einstieg in weiterführende digitale Themen nicht selten an der Vorbereitung. Ich bin daher mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, dass Digitalisierung für viele Unternehmen in zwei Stufen gedacht werden muss, da ihnen aus dem Stand heraus wesentliche digitale Schritte schwerfallen:
Stufe 1: In der ersten Stufe geht es darum, etwa im Hinblick auf Prozesse, Daten und Qualifikationen die erforderlichen Grundlagen zu schaffen, um digitale Methoden und Systeme überhaupt einführen und nutzen zu können. Inhalt der ersten Phase ist auch die Beseitigung häufig vorhandener analoger Altlasten, sie endet daher frühestens, wenn Papier und Excel in betrieblichen Kernprozessen keine Rolle mehr spielen.
Stufe 2: Sobald in Stufe 1 die „digitale Bodenplatte“ gegossen wurde, können die weiteren digitalen Ausbauten erfolgen, kann die eigentliche Digitalisierung beginnen und können auch umfassende Veränderungen von Prozessen oder Wertschöpfung realisiert werden. Mit dieser Einschätzung bin ich offenbar nicht allein:
Wenn wir über Digitalisierung sprechen, sollten wir zwischen linearer und disruptiver Digitalisierung unterscheiden, wobei ich unter disruptiver Digitalisierung die Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle verstehe.
Uwe Peter, Cisco
Handlungsfelder
Erfolgreiche Digitalisierung kann nur gelingen, wenn sie die jeweilige Organisation in ihrer Gesamtheit erfasst. Das bedeutet auch, dass alle inhaltlichen Aspekte der Digitalisierung bedacht werden müssen. Neben naheliegenden Themen wie Daten, Systemen und Prozessen sind das Fragen der Unternehmenskultur, der Mitarbeiterqualifikation und der Integration mit Kunden und Partnern.
Seit sich die Diskussion um Digitalisierung und Transformation intensiviert hat, wurden immer wieder Modelle zur Ermittlung des digitalen Reifegrads vorgestellt. In den relevanten Handlungsfeldern haben sich diese häufig kaum unterschieden, in den konkreten Fragestellungen aber häufig mehr am Ziel als an der Ausgangslage orientiert („wie viel % der Mitarbeitenden arbeiten bereits agil“).
Folgende Handlungsfelder sind aus meiner Erfahrung relevant, wobei das Raster nicht nur als Grundlage für die Klärung der Ausgangslage genutzt werden kann, sondern auch für das Monitoring der Umsetzung der Maßnahmen, etwa im Form einer digitalen Scorecard. Den Prozess der Analyse und Bewertung der Handlungsfelder beschreiben wir in in separaten Blogbeiträgen, ebenso die inhaltlichen Details zu einzelnen Handlungsfeldern, die wir an dieser Stelle nur kurz skizzieren.
Daten & Systeme
Die Datenqualität hängt weniger an Systemen sondern an der Klärung des bestehenden Informationsbedarfs.
Prozesse & Organisation
Was in aller Welt wollen wir digitalisieren, wenn nicht unsere Prozesse?
Ziele & Strategie
Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie benötigte klare Ziele und eindeutige Messgrößen!
Plattformen &
Vernetzung
Prozesse enden nicht an Unternehmensgrenzen. Kunden, Lieferanten und Partner müssen einbezogen werden.
Menschen & Wissen
Die größte Gefahr in turbulenten Zeiten sind nicht die Turbulenzen, sondern das Handeln mit der Logik von gestern (P. Drucker)